Gewerbsmäßiger Betrug: Enkel sitzt mit Oma auf Anklagebank vor dem Landgericht in Arnsberg

23. November 2016

ARNSBERG / WICKEDE / WERL. Der laufende Gerichtsprozess sei für die angeklagte Großmutter „extrem belastend“, erklärte ihr Dortmunder Verteidiger Dieter Kaufmann am gestrigen zweiten Verhandlungstag (22. November 2016) gegen eine 70-jährige Oma aus Wickede und ihren 26-jährigen Enkel als Hauptangeklagtem. – Der Prozess mit mehreren Fortsetzungsterminen findet derzeit vor der „2. Großen Strafkammer“ des Landgerichtes in Arnsberg statt (wir berichteten).

Dem in der Justizvollzugsanstalt in Dortmund in Untersuchungshaft sitzenden gebürtigen Werler, der hauptsächlich bei seinen Großeltern in Wickede aufwuchs, wurden von der Arnsberger Staatsanwältin Verena Tigges bislang rund 90 Betrugsdelikte vorgeworfen.

Inzwischen kämen aber noch immer mehr Strafanzeigen gegen den Beschuldigten aus der ganzen Bundesrepublik hinzu, so dass sich die Zahl der Fälle wohl mindestens auf 150 Taten summieren dürften, erklärte Tigges gegenüber „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“.

Strafverteidiger geht auch von „gewerbsmäßigem Betrug“ durch seinen Mandanten aus

Und auch Rechtsanwalt Kaufmann gab unumwunden in der gestrigen öffentlichen Gerichtsverhandlung zu, dass man bei seinem Mandanten angesichts der Menge an Taten wohl juristisch von „gewerbsmäßigem Betrug“ sprechen müsse.

In einem amüsanten Wortwechsel mit der Staatsanwältin, der sogar die zwei Berufsrichter der insgesamt vierköpfigen Strafkammer zum Lachen brachte, argumentierte der gewiefte Verteidiger aber auch zu Gunsten seines jungen Mandanten, der als Betrüger allerdings schon mehrfach vorbestraft und bei etlichen Amtsgerichten in ganz Deutschland als Angeklagter und Täter aktenkundig ist.

So nahm Staatsanwältin Tigges dem Verteidiger die Mär vom vermeintlichen „Unschuldslamm“ offenbar auch nicht so ganz ab.

Und nur weil bald „Weihnachten“ sei – darauf hatte Rechtsanwalt Kaufmann immer wieder dezent hingewiesen, könne man nicht so einfach Gnade vor Recht ergehen lassen, machte Tigges deutlich.

Denn schließlich stünden dem vermeintlichen Straftäter inzwischen bundesweit rund 150 geprellte Opfer gegenüber, betonte die Ermittlerin.

Und aktuell liefen ja auch andernorts – nicht nur in Arnsberg – noch ein paar Gerichtsverfahren gegen den Beschuldigten, musste schließlich auch sein Verteidiger zugeben.

Arbeitsloser Angeklagter leistete sich Designerklamotten und edle Uhrensammlung

Alleine bei den in Arnsberg angeklagten rund 90 Delikten addiere sich die Schadenssumme auf knapp 28.000 Euro, hatte Staatsanwältin Verena Tigges ausgerechnet.

Der erwerbslose Angeklagte, der nach einer Überschuldung bereits eine „Eidesstattliche Versicherung“ abgegeben hatte, habe mit den illegalen Geldeinnahmen teilweise seinen luxuriösen Lebenswandel finanziert. So sei er bei Zeugen für seinen Kleidungsstil mit „Designerklamotten“ bekannt.

Vor Gericht gab der 28-jährige gestern zudem selbst zu „edle Uhren“ zu sammeln.

Die teuren Anschaffungen leistete er sich offenbar mit dem durch seine „gewerbsmäßigen Betrügereien“ ergaunerten kleinen Vermögen.

Widersprüchliche Aussagen des Beschuldigten

Dass seine kriminellen Taten nur die Folge des schlechten Einflusses durch falsche Freunde und Freundinnen gewesen seien oder durch eine angebliche „Kauf- und Spielsucht“ hervorgerufen worden seien, wie es der Angeklagte und sein Anwalt den Anwesenden glauben machten wollte, stellte die Staatsanwältin in Frage.

Denn kurz zuvor hatte der Beschuldigte noch behauptet, dass er seit längerem gar nicht mehr „spielsüchtig“ sei. – Tigges machte den Widerspruch dieser unterschiedlichen Aussagen deutlich.

Großmutter tat es in der Seele weh, dass ihr Enkel immer „das schwarze Schaf“ der Familie war

In einer kurzen Autobiografie, die er auf Bitte des Gerichtes skizzierte, machte der 26-jährige Betrüger klar, dass er schon immer „das schwarze Schaf“ der Familie gewesen sei. – Dass die Kindheit und Jugend ihres Enkels nicht immer die einfachste und schönste gewesen sei, bestätigte die ebenfalls auf der Anklagebank sitzende 70-jährige Großmutter, die die kriminellen Taten ihres Enkels zumindest „billigend in Kauf genommen“ haben soll, wie ihr die Staatsanwaltschaft vorwirft.

Über ihren Enkel, der über lange Zeiten seines Lebens bei ihr aufwuchs, berichtete die Großmutter: „Er war immer der Loser!“ – will sagen: „Versager“ beziehungsweise „Verlierer“. – Dies habe ihr in der Seele weh getan, so die Oma, deren Liebe für den Enkel sie offenbar blind für seine zunehmend kriminelle Karriere machte.

Werler wuchs großteils in der Obhut der Oma in Wickede auf

Die 70-jährige gelernte Bäckereifachverkäuferin und heutige erwerbsunfähige Rentnerin aus Wickede schilderte dem Gericht, dass ihre Tochter – also die Mutter des Angeklagten – bereits im jungen Alter von 17 Jahren ihr erstes Kind bekommen hätte. Mit 21 Jahren sei ihre in Werl lebende Tochter dann nochmals schwanger geworden und habe überraschend Drillinge bekommen.

Daraufhin habe sie als Oma den Angeklagten bereits als Kind teilweise zu sich nach Wickede in ihre Obhut genommen, um ihre Tochter mit den drei weiteren kleinen Kindern zu entlasten.

Wenngleich der Angeklagte in Werl die Overberg-Hauptschule besucht und später eine Ausbildung in Unna begonnen hätte, die er allerdings nicht abschloss, sei er doch im Wesentlichen in Wickede groß geworden.

Mit der leiblichen Mutter habe es häufig „Spannungen“ gegeben. Heute sei der Kontakt zu ihr ganz abgebrochen, so die mitangeklagte Seniorin.

Denn ihre Tochter – die sich offenbar nur wenig um ihr leibliches Kinde kümmerte – werfe ihr vor, dass sie ihren Enkel „ins Gefängnis gebracht“ hätte, so die niedergeschlagene Bilanz der Großmutter.

Staatsanwaltschaft wirft Großmutter eine Mitschuld bei den Betrügereien vor

Die Staatsanwältin warf der Wickederin hingegen vor, dass ihr hätte klar gewesen sein müssen, dass die erheblichen Geldeinnahmen ihres arbeitslosen Enkels nicht aus regulären Quellen stammen konnten. Durch die Bereitstellung ihres Bankkontos sowie die Päckchen-Annahme unter ihrer Adresse in Wickede habe sie sich bei den Betrügereien mitschuldig gemacht.

Bereits mehrere Geld- und Haftstrafen von unterschiedlichen Amtsgerichten verhängt

Der Verteidiger bat Staatsanwaltschaft und Gericht bereits in der gestrigen Verhandlung um etwas Verständnis für seinen „Schützling“. Bereits als Teenager sei der Angeklagte in den Jahren 2003 und 2007 in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung gewesen.

Vorsitzender Richter Klaus-Peter Teipel sah durch diese etwa zehn Jahre alten Probleme aus der Teenager-Zeit des Angeklagten allerdings keine mögliche Schuldunfähigkeit begründet und auch keinen Anlass für ein entsprechendes Sachverständigen-Gutachten.

Vielmehr machte Teipel durch den Einblick in den Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten deutlich, dass dieser in den letzten Jahren kein unbeschriebenes Blatt gewesen sei. Denn bereits mehrfach sei der junge Mann strafrechtlich in Erscheinung getreten und von mehreren Amtsgerichten zu Geldstrafen sowie Haftstrafen auf Bewährung verurteilt worden, so das Gericht. Unter anderem mehrfach wegen Betruges und einmal wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr.

Oma übernimmt Geldstrafe durch Ratenzahlung

Offenbar lernte der Angeklagte aber nichts daraus. Denn er machte munter weiter mit seinen Straftaten, so dass die Bewährung inzwischen bereits erstmals widerrufen wurde und er schließlich eine sechsmonatige Freiheitsstrafe „absitzen“ musste.

Die Ratenzahlung einer verhängten Geldstrafe übernimmt die Großmutter für ihren Enkel, damit diese nicht in weitere Hafttage für ihn umgewandelt werden.

Vorsitzender Richter Klaus-Peter Teipel: „Jetzt geh ich doch mal dazwischen …“

Aktuell sitzt der Angeklagte allerdings ohnehin in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Dortmund.

Aufgrund der „enormen Anzahl an Betrügereien“ und der beträchtlichen Höhe des Schadens in der Gesamtsumme sowie einer möglichen Flucht- und Wiederholungsgefahr, sprach sich Staatsanwältin Verena Tigges am gestrigen Dienstag auch weiterhin gegen eine Außervollzugssetzung der Untersuchungshaft aus.

Zumal der Straftäter lange flüchtig gewesen sei und sich unter anderem durch Einmietung in Hotels unter falschen Namen der polizeilichen Fahndung und Festnahme entzogen habe.

Rechtsanwalt Dieter Kaufmann als Verteidiger des Angeklagten sah dies ganz anders. Sein Mandant sei nicht vor der Polizei „abgehauen“ sondern diese habe nur „nicht richtig nach ihm gesucht“, so seine These.

Vorsitzender Richter Klaus-Peter Teipel beendete dieses Wortgeplänkel schließlich mit dem Satz: „Jetzt geh ich doch mal dazwischen …“, nachdem er und seine Berufsrichterkollegen sich bis dato noch über die emotional-engagierte Argumentation des wortgewaltigen Strafverteidigers Kaufmann sichtbar amüsiert hatten.

Erhebliche „kriminelle Energie“ des Angeklagten

Staatsanwältin Verena Tigges sieht offenbar weiterhin eine erhebliche „kriminelle Energie“ des Angeklagten, der sich über fast drei Jahre immer wieder „rechtswidrige Vermögensvorteile“ erschlich und andere Menschen um Geld und Wertsachen prellte. – Und „weder Willens noch in der Lage“ gewesen sei, die von ihm betrügerisch im Internet angebotene Ware zu übersenden –  noch das erhaltene Geld zurückzuzahlen.

Darüber, dass der Beschuldigte bestraft werden muss, waren sich die Juristen schließlich einig. Ob es nun eine mehrjährige Haftstrafe ohne Bewährung oder eine Haftstrafe im offenen Vollzug mit Bewährung werden solle, blieb zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung allerdings strittig.

„Dann sitzen wir hier ein halbes Jahr, wenn der Angeklagte schweigt!“

Der gewiefte Dortmunder Strafverteidiger Dieter Kaufmann machte allerdings deutlich, dass er noch einen Trumpf im Ärmel hätte, wenn man sich nicht auf einen für seinen Mandanten annehmbaren Kompromiss verständigen könne. Dann gäbe es nämlich wohl auch keine „geständige Einlassung“ seines Mandanten. Dies bedeute, dass die ermittelnde Staatsanwältin den Angeklagten mühselig durch Indizien und Zeugenaussagen überführen müsse.

Und nicht ganz ohne einen drohenden Unterton merkte Kaufmann wörtlich dazu an: „Dann sitzen wir hier ein halbes Jahr, wenn der Angeklagte schweigt!“

Wenn die Justizbehörde hingegen an einer erheblichen Verfahrensverkürzung interessiert sei und nicht vielleicht erst unzählige Zeugen vorladen und verhören wolle, müsse man sich verständigen. Dann hoffe er auf einen Abschluss der Hauptverhandlung noch „vor Weihnachten“, so Kaufmann.

Nach zweieinhalbstündiger Verhandlung mit viertelstündiger Pause vertagte das Gericht den Prozess schließlich auf Freitag, 25. November 2016, um 9 Uhr.

ANDREAS DUNKER für "wickede.ruhr HEIMAT ONLINE"


LESEN SIE AUCH UNSEREN BEITRAG ZUM ERSTEN PROZESSTAG:

8. November 2016: Mit Internet-Betrügereien zig tausend Euro ergaunert: Oma sitzt mit Enkel auf Anklagebank | wickede.ruhr HEIMAT ONLINE

ANZEIGE
ANZEIGE
Einige der Akten der Strafsache sowie die Strafprozessordnung und das Strafgesetzbuch auf dem Tisch der Anklägerin Verena Tigges FOTO: ANDREAS DUNKER
Einige der Akten der Strafsache sowie die Strafprozessordnung und das Strafgesetzbuch auf dem Tisch der Anklägerin Verena Tigges FOTO: ANDREAS DUNKER