Frühlingsfest: Erstes Opfer des Online-Handels

1. April 2017

WICKEDE (RUHR). „Wickede zeigt Gesicht“ – unter diesem Motto wollte der „Wirtschaftsverband Wickede (Ruhr)“ eigentlich in diesem Jahr erstmals sein traditionelles Frühlingsfest präsentieren, welches bislang unter der Bezeichnung „Wickede blüht“ in der Ortsmitte stattfand. Nun hat der WIR-Vorstand im Gespräch mit „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“ erstmals offiziell bestätigt, dass die geplante Veranstaltung ersatzlos gestrichen ist. Das Frühlingsfest fällt komplett aus. – Gründe dafür gibt es mehrere.

WIR-Sprecher Zahnarzt Dr. Clemens Frigge war da im Gespräch mit „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“ am heutigen Freitag (31. März 2017) ganz ehrlich und offen: Ein zweites Fest sei für die kleine Schar der verbliebenen Einzelhändler in der Ortsmitte, die immer mehr Umsatzeinbußen durch den Online-Handel und große Einkaufszentren im Umland spüren würden, einfach finanziell und personell nicht mehr zu stemmen.

Früher – als die Zeiten für die Händler vor Ort noch besser gewesen seien – hätten diese gerne ein kulturelles und unterhaltsames Rahmenprogramm sowie die teure Werbung für Großveranstaltungen wie „Wickede live“ mit gesponsert.

Auch wenn die Umsätze während der „Verkaufsoffenen Sonntage“ – nach Abzug aller zusätzlichen Kosten – auch damals unter’m Strich für viele Geschäfte keine Gewinne gebracht hätten, habe man in Wickede doch von dem nachhaltigen Imagegewinn bei Einheimischen und auswärtigen Besuchern profitiert, die teilweise später als Kunden wieder gekommen seien.

Dreiste Kunden nutzen Service lokaler Geschäfte und bestellen online bei Konkurrenz

Inzwischen sei dies anders: Dreiste Kunden probierten beispielsweise in den Geschäften vor Ort die Markenschuhe und -klamotten an oder ließen sich vor der Anschaffung von Geräten aufwendig beraten – bestellten diese dann aber anschließend im Internet, wo man bei einem Billiganbieter ohne Ladenlokal vielleicht noch einen Euro sparen würde.

Notfalls mache man im Wickeder Geschäft einfach ein Handyfoto von dem gewünschten Produkt, um die genaue Artikelbezeichnung des Herstellers zu dokumentieren und die Ware dann zu Hause vom Computer oder Smartphone aus bequem bei der Online-Konkurrenz der ortsansässigen Händler zu bestellen.

Vor Ort wird im Einzelhandel nicht mehr genug Geld verdienst, um vieles zu sponsern

Die Folge: Vor Ort werde einfach nicht mehr genug Geld verdient, um mehrere Feste, Vereine und viele mehr vom erwirtschafteten Budget zu subventionieren. Dies sei schade. Aber leider die Entwicklung der Zeit und einfach die Folge des geänderten Einkaufsverhaltens der Kunden.

Gerade in den ersten Monaten des Jahres habe der Wickeder Einzelhandel dies schmerzlich bei den Einnahmen gespürt. Daher müsse man bei Ausgaben für Marketing-Aktionen wie „Wickede zeigt Gesicht“ nunmehr leider sparen.

Man kann nicht eine neue Kuh füttern und die alte weiterhin melken

Die Kunden müssten endlich verstehen, dass man nicht eine neue Kuh füttern und die alte noch immer weiter melken könne, die kaum noch genug zu fressen bekomme.

Mit teuren Aktionen wie der dekorativen Straßenbeleuchtung in der Advents- und Weihnachtszeit sowie der Organisation und Durchführung des Lanfer-Festes engagierten sich die rund fünfzig verbliebenen Mitglieder des Wirtschaftsverbandes ohnehin schon finanziell und personell genug für die Allgemeinheit.

Während die Wirtschaft in Wickede brav ihre Steuern zahle und damit Staat und Gesellschaft mit aufrecht erhielten, kassierten Online-Anbieter von Amazon bis Zalando vielfach nur ab und entzögen sich der Verantwortung.

Fokus auf ein zweitägiges und attraktives Lanfer-Fest richten

Statt zwei große Feste zu veranstalten, müsse der Wirtschaftsverband einfach aus wirtschaftlichen Erwägungen den Fokus auf ein Fest konzentrieren. Und dies sei das traditionsreiche Lanfer-Fest, welches 2017 als Herbstfest seinen 30. Geburtstag feiere. Dafür wolle man wieder ein attraktives Programm auf die Beine stellen und eine Abendveranstaltung am Vortag des „Verkaufsoffenen Sonntages“ durchführen, so Frigge.

Weitere Veranstaltungen seien mit der kleinen WIR-Mannschaft und den immer geringer werdenden finanziellen Ressourcen vor Ort einfach nicht mehr zu schaffen. Alles andere sei illusorisch.

„ver.di“ blockiert vielfach „Verkaufsoffene Sonntage“

WIR-Chef Dr. Clemens Frigge und seine Vorstandskollegen stehen zu dieser Entscheidung, wenngleich sie es sich bei der Begründung viel einfacher hätten machen können. Denn die Wickeder Händler hätten ja auch einfach der Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di“ den „Schwarzen Peter“ zuschieben können, die in vielen Kommunen durch Einsprüche und Gerichtsverfahren aktuell „Verkaufsoffene Sonntage“ verhindert.

Dies sei zwar auch eine Hürde für Veranstaltungen wie das Frühlingsfest der Händler – aber nicht der eigentliche Grund für die Absage. In erster Linie gehe es um die nicht mehr mögliche Finanzierbarkeit von weiteren Großveranstaltungen neben dem Lanfer-Fest. Dabei müsse man einfach auch mal „Gesicht zeigen“ und den Leuten erklären, dass das Internet der Totengräber des örtlichen Einzelhandels sei.

ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“


ANMERKUNG DER REDAKTION: Dies ist übrigens kein April-Scherz sondern bittere Realität.

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WIR-Sprecher Dr. Clemens Frigge ARCHIVFOTO: ANDREAS DUNKER
WIR-Sprecher Dr. Clemens Frigge ARCHIVFOTO: ANDREAS DUNKER