Polizei-Schutz beim interreligiösen Dialog und Friedensgebet

9. November 2019

WERL / WICKEDE. Unter Polizei-Schutz fand am Donnerstagabend (7. November 2019) eine Veranstaltung des „Interreligiösen Dialogkreises Werl“ in der katholischen St.-Antonius-Kirche und anschließend im Franziskus-Forum in Wickede statt. Hintergrund für die Präsenz der Beamten vor Ort war unter anderem der kürzliche Anschlag auf eine Synagoge – ein jüdisches Gebetshaus – in der ostdeutschen Stadt Halle an der Saale. Denn bei dem Wickeder Friedensgebet war auch der kleine jüdische Chor „Simcha“ aus Unna zu Gast. Und die Organisatoren hatten Angst vor Übergriffen, nachdem es bei einem ähnlichen Event in der Nachbarstadt Werl in der Vergangenheit schon einmal Probleme mit beschädigten Autos der Gäste gegeben hatte.

Im Mittelpunkt des interreligiösen Treffens stand die Erinnerung an die Opfer der „Shoah“. Die Massenvernichtung der Juden in Deutschland und Europa im Rahmen der verbrecherischen nationalsozialistischen Herrschaft hatte mit den „Pogromen“, sprich: gewaltsamen Ausschreitungen, gegen Juden ab dem 9. November 1938 begonnen.

So lautete das Motto der von Jonas Fehling aus Wickede initiierten und moderierten Veranstaltung auch: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart!“

Gemeinsam sprachen sich Vertreter der alevitischen, buddhistischen, christlichen, jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften deshalb für gesellschaftliche Vielfalt und Toleranz sowie gegen Antisemitismus, Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit aus.

Gedenken an den Völkermord an den europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus'

Jonas Fehling machte durch verschiedene Beiträge deutlich, dass die heutigen Generationen den „Holocaust“ (Völkermord an den europäischen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus') nicht vergessen, verdrängen oder verleugnen dürften.

Gerade angesichts der aktuellen Gewalttaten in Halle an der Saale sei ein solches gemeinsames Zeichen wichtiger denn je, betonte Fehling.

Gegen die Ausbeutung und Zerstörung des gemeinsamen Planeten Erde

Inhaltlich vermengt wurde die Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November 1938 – also heute vor genau 81 Jahren – mit einem Appell gegen die Ausbeutung und Zerstörung des gemeinsamen Planeten Erde.

So präsentierte sich auch die Klima- und Umweltschutzgruppe „Parents for Future Werl“ im Rahmen der zirka zweistündigen religiösen Veranstaltung in der katholischen Kirche als „Greta-Jünger“.

Jonas Fehling verlas zudem die erste Rede der schwedischen Umwelt- und Klima-Aktivistin Greta Thunberg.

Verschiedene musikalische Beiträge im Rahmen der Veranstaltung

Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von Cellist und Pianist Jurgen Skura, mehreren Gitarristinnen und einer Querflötistin sowie einer Pianistin und dem jüdischen Quartett „Simcha“.

Die Polizisten, die sich weitestgehend im Hintergrund hielten aber teilweise auch um die Kirche patrouillierten, hatten übrigens keine besonderen Vorkommnisse zu melden. Anders als vor einigen Jahren in Werl blieb beim Friedensgebet in Wickede alles friedlich.

ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“


STICHWORT: Reichspogromnacht am 9. November 1938

Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 war der Auftakt zum größten Völkermord in Europa: Im gesamten Deutschen Reich wurden damals jüdische Gotteshäuser (Synagogen) sowie Geschäfts- und Wohnhäuser von den verbrecherischen Schergen der Nationalsozialisten gebrandschatzt und geplündert. Organisierte brutale Schlägertrupps von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zertrümmerten die Schaufenster jüdischer Geschäfte, weshalb diese gewalttätigen Ausschreitungen auch zynisch „Reichskristallnacht“ genannt wird. Zudem demolierten sie Wohnungen von tausenden Juden, die sie auch demütigten, misshandelten und töteten sowie verhafteten. Denn die Gräueltaten gegen die Angehörigen der Religionsgemeinschaft waren staatlich angeordnet und wurden von Behörden wie der Polizei geduldet, gedeckt und teilweise sogar aktiv gefördert. Die örtlichen Feuerwehren ließen beispielsweise Synagogen abbrennen und schützten nur Nachbargebäude nicht-jüdischer Eigentümer vor den Flammen.

„Spätestens an diesem Tag konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren“, heißt es dazu.

Aus langjährigen Mitbürgern und Nachbarn der jüdischen Minderheit in Deutschland waren plötzlich – ohne Grund – hasserfüllte Verfolger und Todfeinde geworden. Historiker erklären dies allerdings mit Neid auf Besitz und beruflichen Erfolg gebildeter Juden, die damals als Minderheit das Wirtschafts- und Kulturleben in Deutschland wesentlich prägten.

Einundneunzig Tote, 267 zerstörte Gottes- und Gemeindehäuser sowie 7.500 verwüstete Geschäfte waren die „offizielle“ Bilanz dieses Terrors. – Tatsächlich seien während und unmittelbar in Folge der Ausschreitungen weit mehr als 1.300 Menschen gestorben, heißt es in einem Beitrag des Deutschen Historischen Museum in Berlin. Und weiter: „… mit mindestens 1.400 wurden über die Hälfte aller Synagogen oder Gebetshäuser in Deutschland und Österreich stark beschädigt oder ganz zerstört“.

Die Weisung zu den November-Pogromen sei von der NSDAP-Führung in München ausgegangen, wo sich die Parteispitze zum Gedenken an den 15. Jahrestag des Hitler-Putsches versammelt habe.

Weiter heißt es in dem Beitrag des Deutschen Historischen Museums: „Als Vorwand des von ihnen als angeblich spontanen Aktes des ,Volkszorns‘ deklarierten Terrors nutzten die Nationalsozialisten die Ermordung des Legationssekretärs an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, durch den erst 17-jährigen Herschel Grynszpan. Er wollte so auf die Abschiebung von 17.000 polnischen Juden, zu denen auch seine Eltern zählten, nach Polen aufmerksam machen.“

Die „Reichspogromnacht“ war der schreckliche Höhepunkt eines staatlichen Antisemitismus, der mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begonnen hatte.

Die Reaktionen der Bevölkerung während der gewalttätigen und teils mörderischen Ausschreitungen gegen die Juden sei „zumeist von eingeschüchterter Reserviertheit und einem schockierten Schweigen geprägt“ gewesen, wird berichtet. „Nur wenige Menschen, die nicht der SA oder SS angehörten, beteiligten sich aktiv an den Zerstörungen und den Brandschatzungen, auch nur wenige allerdings tätigten Hilfe für ihre jüdischen Nachbarn.“

Bereits am 10. November 1938 wurden mehr als 30.000 männliche Juden in Konzentrationslager (KZ) verschleppt.

Zunehmende Entrechtung, Enteignungen und „Zwangsarisierungen“ sollten die rund 400.000 deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens zur Auswanderung aus Hitlers „tausendjährigem Reich“ zwingen.

Es folgte der grausame Völkermord in Vernichtungslagern des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland und anderen besetzten Ländern in Europa: der „Holocaust“, den die Nazionalsozialisten verharmlosend als „Endlösung der Judenfrage“ bezeichneten.

ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“


KOMMENTAR: Gedanken zum Gedenken an den Genoizid

Dass Veranstaltungen mit jüdischer Beteiligung in der heutigen Zeit – wie jüngst beim „Friedensgebet“ des „Interreligiösen Dialogkreises Werl“ in Wickede – wieder vor befürchteten Übergriffen von Antisemiten geschützt werden müssen, ist sehr bedauerlich. Gut ist allerdings, dass die Staatsmacht heute bedrohte Minderheiten und potentielle Opfer vor Angriffen schützt und nicht Verbrecher und Straftäter, wie dies leider während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 1945 in Deutschland und annektierten Gebieten in Europa der Fall war.

Schade ist: Die Unterrichtsfächer Geschichte und Politik kommen in den aktuellen Lehrplänen der deutschen Schulen leider scheinbar viel zu kurz. Es droht eine zunehmende „historische Amnesie“, ein Verlust der geschichtlichen Erinnerung und politischen Bildung.

Schüler würden immer weniger in der Lage sein, Kausalzusammenhänge herzustellen, sprich: Ursache und Wirkung historischer und politischer Ereignisse zu ergründen, um damit Lehren aus der Geschichte zu ziehen, beklagen selbst Lehrer.

Die Erinnerung an die zwei deutschen Unrechtsregieme – die nationalsozialistische Diktatur Adolf Hitlers und die DDR – wachzuhalten und daraus Lehren für unser heutiges Leben zu ziehen, scheint aber enorm wichtig zu sein, um dadurch nicht-demokratische Entwicklungen in unserem Land durch Links- und Rechtsextreme sowie religiöse Fanatiker zu stoppen.

Zu hinterfragen ist im Zusammenhang mit der generell löblichen Veranstaltung die Teilnahme von Vertretern der Werler Moschee, die der „DITIB Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.“ angehört, an dem interreligiösen Dialog und Friedensgebet in der katholischen Kirche in Wickede.

Denn während die Veranstaltung dem Gedenken am nationalsozialistischen Völkermord an den Juden gewidmet war, werden der DITIP als verlängerter Arm des türkischen Staates und Vorfeldorganisation der muslimisch-konservativen Regierungspartei AKP des autoritären Präsidenten Recep Tayyip Erdogan teilweise Antisemitismus und die Leugnung des türkischen Genozids (Völkermordes) an den Armeniern sowie Kriegsspiele mit Kindern vorgeworfen. Außerdem sollen innerhalb des islamischen Moscheenverbandes in Deutschland der Märtyrertod verherrlicht und Propaganda für den Angriffskrieg der Türkei auf die Kurdengebiete im Nachbarstaat Syrien betrieben worden sein. Auch eine Zusammenarbeit der DITIP-Imame mit dem türkischen Geheimdienst gegen Erdogan-Regime-Kritiker in Deutschland ist bekannt und Gegenstand der öffentlichen Kritik.

Dies alles lässt sich im Internet schnell recherchieren und nachlesen. Zumal sich aktuell auch der deutsche Verfassungsschutz mit der aus der Türkei gelenkten DITIP beschäftigt.

Wie dies mit Gebeten für Frieden, Gewaltfreiheit, Toleranz und Völkerverständigung sowie dem Gedenken an den jüdischen Holocaust und der Erinnerung an die Schreckensherrschaft des nationalsozialistischen Unrechtsstaates zusammen passt, bleibt mehr als fraglich.

Und die Organisatoren der Veranstaltung müssen sich daher fragen lassen, ob sie nicht allzu blauäugige und naive Weltverbesserer sind, die zwar zu recht die Verfehlungen der Deutschen im Nationalsozialismus aufzeigen und an die Opfer des Hitler-Regimes erinnern, aber die menschenverachtenden Gräueltaten und politischen Verfehlungen der Gegenwart allzu sehr ausblenden.

Zur „Verständigung“ zwischen den Religionen trägt es übrigens auch nicht bei, wenn der türkische Imam aus der Werler DITIP-Moschee zwar den Koran in arabischer Sprache auswendig kennt, aber kein Deutsch spricht und seine Rede erst übersetzt werden muss.

Diese Kritik an dem interreligiösen Dialog und dem Friedensgebet muss – bei aller Achtung für die wichtige Veranstaltung und dem Respekt vor den Bemühungen der Verantwortlichen für eine bessere und menschlichere Welt – erlaubt sein.

Fazit: Wer vor den Problemen der Gegenwart die Augen verschließt, dem hilft auch nicht der Blick in die Vergangenheit …

ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“

Das Gesangsquartett des jüdischen Chores „Simcha“ aus Unna im Altarraum unter dem Kreuz in der katholischen St.-Antonius-Kirche in Wickede FOTO: ANDREAS DUNKER
Das Gesangsquartett des jüdischen Chores „Simcha“ aus Unna im Altarraum unter dem Kreuz in der katholischen St.-Antonius-Kirche in Wickede FOTO: ANDREAS DUNKER
Der Wickeder Jonas Fehling moderierte das Friedensgebet und das Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 – also heute vor genau 81 Jahren – des "Interreligiösen Dialogkreises Werl". FOTO: ANDREAS DUNKER
Der Wickeder Jonas Fehling moderierte das Friedensgebet und das Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 – also heute vor genau 81 Jahren – des "Interreligiösen Dialogkreises Werl". FOTO: ANDREAS DUNKER
Der türkische Imam der Werler DITIP-Moschee konnte kein Deutsch. Seine Rede musste übersetzt werden. FOTO: ANDREAS DUNKER
Der türkische Imam der Werler DITIP-Moschee konnte kein Deutsch. Seine Rede musste übersetzt werden. FOTO: ANDREAS DUNKER
Mehr als hundert Teilnehmer waren beim Friedensgebet und der Gedenkfeier anläßlich des Juden-Pogroms am 9. November vor 81 Jahren zu Gast beim "Interreligiösen Dialogkreis Werl" in der katholischen St.-Antonius-Kirche in Wickede. FOTO: ANDREAS DUNKER
Mehr als hundert Teilnehmer waren beim Friedensgebet und der Gedenkfeier anläßlich des Juden-Pogroms am 9. November vor 81 Jahren zu Gast beim "Interreligiösen Dialogkreis Werl" in der katholischen St.-Antonius-Kirche in Wickede. FOTO: ANDREAS DUNKER
Mit vier Beamten in zwei Streifenwagen der Wache Werl übernahm die Kreispolizeibehörde Soest den Schutz des Friedensgebetes und der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht (9. November 1938) in der katholischen Kirche und im benachbarten Franziskus-Forum (Bild) in Wickede. FOTO: ANDREAS DUNKER
Mit vier Beamten in zwei Streifenwagen der Wache Werl übernahm die Kreispolizeibehörde Soest den Schutz des Friedensgebetes und der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht (9. November 1938) in der katholischen Kirche und im benachbarten Franziskus-Forum (Bild) in Wickede. FOTO: ANDREAS DUNKER