Ratssitzung: „Grünschnitt“ – aber kein „Rotstift“

12. Februar 2015

WICKEDE (RUHR). Eine Ratssitzung im Ambiente einer Narrensitzung: Bunt glitzernde Girlanden hingen heute zu Weiberfastnacht (12. Februar 2015) von der Decke des östlichen Bürgerhaus-Saales, wo das politische Führungsgremium der Gemeinde zur Haushaltsdebatte tagte.

Hatte sich Bürgermeister Dr. Martin Michalzik noch kürzlich in einer vorbereitenden Fachausschuss-Sitzung gegen eine „fiskalische Traditionspflege“ ausgesprochen, stimmte er am Abend einer Unterbrechung der Ratsitzung zwecks einer „närrischen Brauchtumspflege“ gerne zu:

Denn FDP-Ratsfrau Christa Lenz beantragte die offizielle Sitzung kurz zu unterbrechen, um ihrem Nebenmann Lothar Kemmerzell zu Weiberfastnacht ein Stück seiner grünen Krawatte abzuschneiden, was die kuraschierte Kommunalpolitikerin – in der direkt vom Bürgermeister genehmigten Pause – dann auch tat.

Der Bürgermeister charakterisierte die Aktion – jahreszeitlich passend – denn gleich auch als „Grünschnitt“.

Karnevalsorden für Kämmerer

Der aus dem jecken Rheinland stammende Kemmerzell hatte zuvor schon dem anwesenden Kämmerer Christian Wiese – ohne bürgermeisterliche Genehmigung – einen Karnevalsorden verliehen, um damit den närrischen Frohsinn des Finanzchefs der Gemeindeverwaltung zu würdigen.

Die rote Krawatte des schwarzen Bürgermeisters

Nach der Beschneidung des Bündnis-Grünen gleich vom Rest des Rates angespornt, zeigte die gelb-blaue Fraktionsvorsitzende gleich weiter ihr schnittiges (Un-)Wesen: 

Denn vor der roten Krawatte des schwarzen Bürgermeisters machte Christa Lenz ebenfalls keinen Halt.

Dieser nahm’s ebenso wie Kemmerzell mit Humor. Ja, es schien Michalzik sogar recht zu sein, dass unter dem abgeschnittenen roten Schlips sein schwarzes Hemd noch mehr zum Vorschein kam. Denn der christdemokratische Verwaltungschef fühlt sich dieser politischen Couleur bekanntlich eng verbunden.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass Michalzik gerade zu Weiberfastnacht eine rote Krawatte trug …

Die rote Schere der blau-gelben Ratsfrau 

Der Haushaltsschere mit dem roten Griff fielen dann auf dem Rückweg zum blau-gelben Fraktionsplatz gleich noch die Krawatten von SPD-Fraktionssprecher Engelbert Gurka und SPD-Ortsvereinsvorsitzendem Helmut Bäcker zum Opfer.

Weitere männliche Ratskollegen verschonte Christa Lenz mit ihrem im kommunalpolitischen Kreise praktizierten Karnevalsbrauchtum.

So hatte beispielsweise BG-Fraktionschef Thomas Schäfer am Abend kein solch einschneidendes Erlebnis.

BG mahnt einschneidende Sparmaßnahmen an

Der Sprecher der Bürgergemeinschaft, der beruflich Betriebswirt und Controller ist, hatte aber in seiner vorhergehenden Rede einschneidende Maßnahmen gefordert. Und zwar im Bereich des defizitären Haushaltes und der von ihm prognostizierten negativen Bilanz der nächsten Jahre.

Gemeinde steuert auf 40-Millionen-Euro-Schuldenberg zu

Betriebswirt Schäfer verdeutlichte dem kommunalpolitischen Kollegium nämlich, dass die Gemeinde Wickede (Ruhr) auf einen Schuldenberg von rund 40 (!) Millionen Euro zusteuere. Bis 2018 rechne man mit einer durchschnittlichen Verschuldung der Wickeder Bürger von zirka 3.400,00 Euro pro Einwohner.

Schäfer wörtlich: „Jedenfalls wären wir dann in der Pro-Kopf-Verschuldung 2018 höher als die Stadt Werl aktuell, die hier durchaus landesweit als Negativ-Referenz gegolten hat.“ 

Bürgergemeinschaft lehnt Haushaltsentwurf ab

In der Abstimmung nach den Haushaltsreden der Fraktionssprecher sowie einer anschließenden kurzen Aussprache, lehnte die dreiköpfige BG-Fraktion den Hauhaltsentwurf 2015 für die Gemeinde Wickede (Ruhr) daher ab.

SPD-Fraktion erneuert Kritik an kommunaler Steuererhöhung

Ebenso wie die zehnköpfige SPD-Fraktion, die ihr ablehnendes Votum aber nur mit der Kritik an der kommunalen Steuererhöhung begründete.

Von den anderen Fraktionen mussten sich die Sozialdemokraten dafür den Vorwurf des „Populismus“ gefallen lassen. – Die finanzpolitischen Vorstellungen der SPD seien „Luftschlösser“, hieß es.

Vorwurf des „Populismus“ aus anderen Fraktionen

BG-Sprecher Schäfer erklärte dazu: „… Aber die SPD, die in den vergangenen Jahren kaum einen substanziellen Sparvorschlag gemacht hat, hält an einer Begründung fest, die man eher als mangelndes Fachwissen kennzeichnen muss …“

Schäfer kritisch zu Kosten für Sekundarschule

Nicht ganz unkritisch sah BG-Sprecher Thomas Schäfer übrigens auch die von Wickedes CDU-Chef Thomas Fabri gelobten 5,7 Millionen Euro Gesamt-Investitionen in die Zukunft von Bürgerhaus, Feuerwehrfuhrpark und Sekundarschule. Schäfer wörtlich: „Bezüglich der Investitionen in die Sekundarschule betonen wir unsere kritische Grundhaltung gegenüber dem Gesamtprojekt als Kostenfaktor für den Haushalt.“

Zusätzlicher Fehlbetrag von 1,4 Millionen Euro im Laufe des Jahres 2015 

Thomas Fabri (CDU) von der stärksten Ratsfraktion hatte in seiner Rede betont: „Wir verabschieden hier heute einen Haushalt, der auf der Ertragsseite rund 23,5 Millionen Euro erwirtschaftet, auf der Aufwandsseite jedoch mit 24,9 Millionen Euro zu Buche schlägt.“ 

Das ergebe einen zusätzlichen Fehlbetrag von 1,4 Millionen Euro im Laufe des Jahres 2015. 

Das Vermögen der Gemeinde sinke, so Fabri. Und weiter: „Wickede (Ruhr) hat so in den letzten Jahren einen Substanzverlust von mehr als zehn Millionen Euro verschmerzen müssen.“

Haushalt mit Stimmen von CDU, FDP und Grünen verabschiedet 

Die 15-köpfige Fraktion von Fabri stimmte – ebenso wie die jeweils zwei Vertreter von FDP und „Bündnis 90 / Die Grünen“ – dem defizitären Haushaltsentwurf der Gemeinde für 2015 allerdings anschließend geschlossen zu.

Damit konnte sich die SPD mit ihren zehn Mandaten und die Bürgergemeinschaft mit drei Abgeordneten mit ihren Stimmen gegen die Verabschiedung des Haushaltsentwurfes nicht durchsetzen.

Konsens beim karnevalistischen Frohsinn  

Konsens zeigten die Kommunalpolitiker dagegen beim Lob der Arbeit der Gemeindeverwaltung sowie dem karnevalistischen Frohsinn.

Denn eröffnet hatte Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) die Ratssitzung – passend zur närrischen Session – in Form einer Büttenrede:


„Ihr lieben Ratsleut’, seid willkommen,

Ihr habt schon alle Platz genommen.

Auch in diesen tollen Tagen

beraten wir die schweren Fragen:

 

Wo woll’n wir hin, was darf es kosten,

in kleinen und in großen Posten.

Denn die Löhne und Diäten

dürfen sich ja nicht verspäten.

Schöne Straßen, warmes Schwimmen,

für alles muss die Kasse stimmen.

 

Der Haushalt wurde eingebracht,

ihr habt darüber nachgedacht –

nun lasst uns hören, was ihr sagt,

was ihr gestaltet, lobt, beklagt

und lasst uns dann – für gutes Leben –

gemeinsam unsere Hände heben.

 

Das war mein Gruß – nun tagen wir.

Danach spendier’ ich … uns ein Bier.“


Ob es allen Ratsmitgliedern angesichts der mahnenden Worte von BG-Chef Thomas Schäfer zu dem tatsächlichen Schuldenberg nach der Sitzung noch so lustig zumute war, vermag der Schreiber dieser Zeilen nicht zu sagen.

Denn die schlechte finanzielle Lage der Gemeinde ist kein kurzfristiger Karnevalsscherz – sondern ein langfristig ernstes Problem …

 

ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“

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Närrische Ratssitzung zu Weiberfastnacht FOTO: ANDREAS DUNKER
Närrische Ratssitzung zu Weiberfastnacht FOTO: ANDREAS DUNKER
Grünen-Chef Lothar Kemmerzell verleiht einen Karnevalsorden an Kämmerer Christian Wiese FOTO: ANDREAS DUNKER
Grünen-Chef Lothar Kemmerzell verleiht einen Karnevalsorden an Kämmerer Christian Wiese FOTO: ANDREAS DUNKER
„Grünschnitt“ der FDP-Ratsfrau Christa Lenz FOTO: ANDREAS DUNKER
„Grünschnitt“ der FDP-Ratsfrau Christa Lenz FOTO: ANDREAS DUNKER
Und weg war ein Teil des Schlipses vom SPD-Ortsvereinschef Helmut Bäcker … FOTO: ANDREAS DUNKER
Und weg war ein Teil des Schlipses vom SPD-Ortsvereinschef Helmut Bäcker … FOTO: ANDREAS DUNKER
Abgeschnitten: die rote Krawatte beim schwarzen Bürgermeister. Dr. Martin Michalzik (CDU) mit Christa Lenz (FDP) FOTO: ANDREAS DUNKER
Abgeschnitten: die rote Krawatte beim schwarzen Bürgermeister. Dr. Martin Michalzik (CDU) mit Christa Lenz (FDP) FOTO: ANDREAS DUNKER