Durch illegalen Ein-Euro-Job den Deutsch-Kursus finanziert

13. März 2015

WICKEDE (RUHR) / KREIS SOEST. Kritik an der Flüchtlingspolitik – insbesondere an den Maßnahmen von Innenminister Ralf Jäger (SPD) von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen – äußerte Heinz Drucks von der Flüchtlingsberatung im Kreis Soest am gestrigen Donnerstagabend (12. März 2015) im Bürgerhaus in Wickede. Die Maxime sei „Augen zu und durch!“ Das System sei „total überfordert“.

Der Mitarbeiter der Diakonie Ruhr-Hellweg äußerte dies ausgerechnet bei einer Podiumsdiskussion der sozialdemokratischen „Jusos“ für den Kreis Soest unter dem Motto „Flüchtlingen ein Gesicht geben“.

Nicht genügend Mitarbeiter für Flüchtlings-Arbeit

Unter anderem stünden bei der Bezirksregierung Arnsberg, die NRW-weit im Asylbereich zuständig ist, einfach immer noch nicht ausreichend Mitarbeiter für den Flüchtlings-Bereich zur Verfügung, so Drucks.

Das Personal in den Verwaltungen und Betreuungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen sei völlig überlastet.

Man müsse sich einfach mal nach den Krankenständen und Burnout-Fällen erkundigen, riet Drucks den rund 30 Gästen im Publikum.

Asylverfahren dauern viel länger als politisch propagiert

Angeprangert wurde von dem Asyl-Experten ebenfalls die „Träumerei in Berlin“.

Die Asylverfahren dauerten – insbesondere angesichts des Mitarbeiter-Mangels – wesentlich länger als von den Politikern immer öffentlich propagiert.

Als ein weiteres Problem sah Flüchtlings-Berater Heinz Drucks die Ungleichheit des Asylverfahrens innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft. Die Anerkennung von Asylgründen würde leider jedes Land anders bewerten.

Sicherere Grenzen bereiten kriminellen Schlepperbanden das Feld

Kritisiert wurde von Drucks die immer stärkere Abwehr an den europäischen Außengrenzen. Die Europäer würden das Fluchtproblem teilweise einfach in die afrikanischen Mittelmeer-Küstenländer verlagern.

Indem die Grenzen immer schwieriger für den Einzelnen passierbar seien, bereite man zudem kriminellen Schlepperbanden das Feld.

Forderung nach Sprachkursen und andere Sofortmaßnahmen

Als effektive Sofortmaßnahmen empfahl Drucks: einen Anspruch auf Sprachkurse, eine Gesundheitsversorgung wie bei normalen Krankenkassenpatienten und die Aufhebung der „Dublin-Regelung“, die zu einem „Verschiebebahnhof“ für die Asylbegehrenden führe.

Flüchtlings-Berater empfiehlt häufig anwaltlichen Rat für Asylsuchende

Viele Asylsuchende seien den staatlichen Stellen in Deutschland alleine hilflos ausgeliefert, meinte Drucks. Deshalb würde er manchem direkt die Inanspruchnahme eines entsprechend fachlich qualifizierten Anwaltes empfehlen.

„So hilflos ist der Flüchtling in unserem Lande nicht!“

Zuhörer Engelbert Gurka vom örtlichen SPD-Ortsverein widersprach dieser These von Drucks allerdings heftig. Aus seiner Erfahrung im kommunalen Verwaltungsdienst könne er nur sagen: „So hilflos ist der Flüchtling in unserem Lande nicht!“

Aus seiner aktiven Dienstzeit bei der Stadtverwaltung Fröndenberg sei ihm bekannt, dass etliche eine „falsche Identität“ annehmen oder diese gänzlich verschleiern würden, um nur nicht abgeschoben zu werden.

Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse in Herkunftsländern

Heinz Vihrog vom Freundeskreis „Menschen helfen Menschen Wickede (Ruhr)“ – der als einziger Wickeder auf dem Podium saß – erklärte, dass er davon träume, dass es gar „keine Flüchtlinge mehr hier“ gäbe. Und zwar deshalb, weil eine Flucht der Menschen aus ihren Heimatländern nicht mehr erforderlich sei.

Sprich: die Verhältnisse sich dort gebessert hätten.

Mehr „Akzeptanz der Bürger gegenüber Flüchtlingen“ gefordert

Ansonsten erklärte Vihrog, dass er sich mehr „Akzeptanz der Bürger gegenüber Flüchtlingen“ wünsche und dafür werbe.

Gleichzeitig betonte der Freundeskreis-Sprecher aber auch, dass es in Wickede „viele helfende Hände“ gäbe.

Über soziale Netzwerke wie Facebook rufe der Verein „Menschen helfen Menschen Wickede (Ruhr)“ jeweils aktuell zu „bedarfsgerechten Spenden“ auf. Sowohl Geld- als auch Sachspenden seien dabei willkommen.

Staat verlässt sich zu sehr auf ehrenamtliches Engagement

Trotz der eigentlich guten Zusammenarbeit mit den Malteser-Werken als Betreuungsverband in Wimbern, übte Heinz Vihrog deutliche Kritik daran, dass man sich staatlicherseits zu viel auf ehrenamtliche Helfer verlasse. – Unter anderem seien ehrenamtliche Helfer bei der Essensausgabe im ehemaligen Krankenhaus tätig. Dies müsse eigentlich Aufgabe von hauptamtlichen Kräften sein.

Probleme bei eigentlich notwendigen Psychotherapien

Vihrogs Erfahrung im Kontakt mit den Flüchtlingen: Viele der Bewohner in Wimbern seien schwer traumatisiert.

Dies sah auch der regionale Flüchtlingsberater Heinz Drucks von der Diakonie Ruhr-Hellweg als ein riesiges Problem an. Denn bereits für deutsche Patienten gäbe es häufig lange Wartezeiten bei Psychotherapeuten. Hinzu kämen bei den Flüchtlingen häufig noch die sprachlichen Verständigungsprobleme. 

Außerdem sei vielen Flüchtlingen der Sinn einer Psychotherapie noch nicht bekannt und eine solche daher schwer vermittelbar.

Des weiteren stünde immer die Frage der Kostenübernahme im Raum, so Drucks, der neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Flüchtlingsberater noch ehrenamtliches Mitglied des „Flüchtlingsrates NRW“ ist.

Soziale Arbeit mit Schwerpunkt „Armut und (Flüchtlings-)Migration“

Nach Heinz Drucks und Heinz Vihrog kam dann ein ehemaliger Flüchtling zu Wort: Nelli Foumba Soumaoro, der aus seiner afrikanischen Geburtsheimat floh und heute in Hamm lebt.

Nachdem er sich durch einen illegalen Ein-Euro-Job, der durch Behörden geduldet wurde, einen Sprachkurs als Basis für die Integration finanziert hatte, machte er sein Abitur und studiert derzeit „ Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Armut und (Flüchtlings-)Migration“ an der Fachhochschule Dortmund.

Bundessprecher der Flüchtlings-Organisation

Als Gründe für seine Flucht nannte er Korruption und mangelnde Meinungsfreiheit in seinem ursprünglichen Heimatland.

Heute ist Nelli Foumba Soumaoro der Bundessprecher der Flüchtlings-Organisation „Jugendliche ohne Grenzen“.

Mangel an Bildung und Arbeitsplätzen

Nelli Foumba Soumaoro machte gestern in Wickede deutlich, dass es in den Ursprungsländern der Flüchtlinge häufig Analphabetismus und mangelnde Bildung gäbe. Zudem fehle es häufig an Arbeitsplätzen.

Die Menschen hätten einfach keine Zukunftsperspektive.

„Zum Nichtstun verdammt“

Der Afrikaner beklagte, dass man im Asylverfahren teilweise abgelehnt würde, wenn man die Wahrheit für den Grund seiner Flucht gegenüber deutschen Behörden und Gerichten nenne.

Vielfach müsse man illegal agieren, da man beispielsweise keine offizielle Arbeitserlaubnis habe und ansonsten „zum Nichtstun verdammt“ sei.

Einzelwohnungen statt Massenunterkünfte gefordert

Um die Situation der Flüchtlinge zu verbessern, solle man sie in eigenen Privatwohnungen unterbringen – statt sie in Massenunterkünften zu isolieren, forderte Nelli Foumba Soumaoro. Kontakte mit den deutschen Nachbarn sorgten so automatisch für eine bessere Integration.

Gestern in Wickede – heute bei Merkel in Berlin

Stolz berichtete Nelli Foumba Soumaoro gestern in Wickede, dass er am heutigen Freitag bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin zu Gast sei, um ihr Vorschläge zur Verbesserung der Flüchtlingspolitik zu unterbreiten.

Welche Tipps er der Kanzlerin geben will, wollte er im Bürgerhaus aber noch nicht verraten …

ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“

ANZEIGE
ANZEIGE
Der Wickeder Juso Dennis Theil (links), stellvertretender Vorsitzender auf Kreisebene, begrüsste die Podiumsgäste und die etwa 30 Besucher im Bürgerhaus zur Veranstaltung „Flüchtlingen ein Gesicht geben". FOTO: ANDREAS DUNKER
Der Wickeder Juso Dennis Theil (links), stellvertretender Vorsitzender auf Kreisebene, begrüsste die Podiumsgäste und die etwa 30 Besucher im Bürgerhaus zur Veranstaltung „Flüchtlingen ein Gesicht geben". FOTO: ANDREAS DUNKER