Schock für die Gemeinde: Finanzhaushalt vorerst von der Kommunalaufsicht des Kreises Soest nicht genehmigt

9. März 2017

WICKEDE (RUHR). Hiobsbotschaft fürs Rathaus: Der Kreis Soest will den geplanten defizitären Finanzhaushalt der Gemeinde Wickede (Ruhr) für das Jahr 2017 vorerst nicht genehmigen. Die Gemeinde hat von der Kommunalaufsicht der Kreisverwaltung vielmehr zur Auflage bekommen ihren eingereichten Entwurf mit einem Minus von rund 1,3 Millionen Euro nachzubessern und auszugleichen.

Wilhelm Müschenborn als Sprecher des Kreises Soest erklärte dazu gegenüber „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“: „Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang, dass eine Kommune ein rechtskräftig beschlossenes Haushaltssicherungskonzept eigenmächtig zeitlich nach hinten verlängert. Die Gemeinde Wickede (Ruhr) muss ihr Defizit im geplanten Finanzhaushalt für 2017 ausgleichen. Denn mit dem derzeitigen Entwurf verlässt die Gemeinde den Boden der aktuellen rechtlichen Grundlagen des nordrhein-westfälischen Haushaltsrechtes. Dies ist auch nicht verhandelbar. Wir sind nicht auf einem Basar!“ – Derzeit sei der Finanzplan der Gemeinde Wickede (Ruhr) nicht genehmigungsfähig, weil sich die Kommune mit ihrem Entwurf nicht an Recht und Gesetz halte.

Die Kommunalaufsicht des Kreises Soest hat Recht

„Die Spielregeln des öffentlichen Haushaltsrechtes gelten für alle Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen gleichermaßen. Sowohl für die hoch verschuldeten Ruhrgebiets-Großstädte wie für die kleinen Gemeinden im ländlichen Raum. Die örtliche Verwaltung in Wickede muss nachsitzen und einen neuen Haushaltsplan aufstellen. Und der Wickeder Gemeinderat ist gefordert einen neuen Haushalt für 2017 zu beschließen. Denn: So geht’s nicht! – Die Kommunalaufsicht beim Kreis Soest hat recht“, so Finanzhaushalts-Experte Eberhard Kanski als stellvertretender Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Bundes der Steuerzahler (BdSt) mit Sitz in Düsseldorf

Konsequenzen für Kommune noch gar nicht alle absehbar

Die nunmehr praktizierte „vorläufige Haushaltsführung“ sei „mit vielen Einschränkungen verbunden“, heißt es in einer Mitteilung von Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) am heutigen Donnerstag (9. März 2017) an die Medien. – Welche Konsequenzen die fehlende Genehmigung des Gemeindehaushaltes durch die Kommunalaufsicht des Kreises Soest genau hat, bleibt abzuwarten.

Alle freiwilligen Leistungen der Gemeinde müssen gestoppt werden

SPD-Fraktionssprecher Engelbert Gurka betonte in einer ersten Stellungnahme, dass die Gemeinde eigentlich „alle freiwilligen Leistungen“ wie die Förderung von Sport, Kultur und Vereinen stoppen müsse. Geld dürfe vorerst nur für Pflichtaufgaben ausgegeben werden. Trotzdem gehe er davon aus, dass eine kommunale Freizeiteinrichtung wie das Freibad zum Saisonbeginn geöffnet werde. – Allerdings zählten Freibad, Bücherei, Bürgerhaus und so weiter eigentlich auch zu den freiwilligen Leistungen der Gemeinde Wickede (Ruhr) für ihre Bürger. Er hoffe nun auf Gespräche mit Kreisverwaltung und Landesregierung, um eine Kompromisslösung herbeizuführen, so Gurka.

ANDREAS DUNKER für "wickede.ruhr HEIMAT ONLINE"



Nachstehend die Pressemitteilung der Gemeinde Wickede (Ruhr) vom heutigen Donnerstag (9. März 2017) im Wortlaut:

„Nur ein halbes Segel“ kann die Gemeinde bis auf weiteres bei den Finanzen ausrollen: Ursache ist, dass die Kreisverwaltung die „Leinen festhält“ und den Haushalt 2017 nicht freigibt. „Das lässt mit viel Mühe nur die nötigsten Kursmanöver zu“, teilt Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) mit. Im Amtsdeutsch heißt das „vorläufige Haushaltsführung“  und ist mit vielen Einschränkungen verbunden.

Die Begründung aus Soest: Eine Verlängerung des Haushaltssicherungskonzeptes, das ursprünglich bis 2017 angelegt wurde, sei „derzeit nicht genehmigungsfähig“. Der Rat hatte im Dezember eine Verlängerung bis 2020 gewünscht und beschlossen.

Ein Erlass des NRW-Innenministeriums vom 7. März 2014 blockiere das, da „nach Ziffer 3.1.1, 4. Spiegelstrich des Erlasses – kein Herausschieben des Endpunktes möglich“ sei, schreibt die Kreisverwaltung. Insofern wird die Haushaltsstrategie nicht inhaltlich kritisiert, sondern formal ausgebremst. Kurzfristig hatte der Bürgermeister diesen Mittwoch (8. März 2017) die Fraktionsvorsitzenden (der im politischen Rat der Gemeinde vertretenen Parteien) zusammen gerufen, um sie über die Entwicklung zu informieren.

Bis zum 30. Juni 2017 gibt der Kreis der Gemeinde jetzt Zeit, irgendwie das Minus von 1,2 Millionen Euro auszugleichen.

Dass 2015 sogar ein Überschuss erreicht wurde und auch für 2016 erwartet wird, zählt dabei nicht. Umgekehrt sehen die Fraktionsvorsitzenden sowie Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) und Kämmerer Christian Wiese aus dem Stand heraus keine überzeugende Option (Möglichkeit), so kurzfristig die bestehende Lücke zu schließen. Denn schon bei den Haushaltsberatungen 2015 und 2016 hatte man im Rat kaum noch zusätzliche konkrete Einsparideen gesehen.

Und einen „zusätzlichen Steuersprung nach oben im Schnellschuss“ lehnt der Bürgermeister ab – im Einklang mit den Fraktionen. So wird absehbar für 2017 eine „Steuerung mit fest angezogener Bremse“ den Kurs vorgeben.

Da viele Städte und Gemeinden mit schwieriger Finanzlage ihre Haushaltssicherungskonzepte für zehn Jahre erlaubt bekamen, finden Rat und Verwaltung der Gemeinde Wickede (Ruhr) den eigenen Plan, die ehemals vierjährige Frist zu verlängern, sehr plausibel. „Die Festlegung aus dem Innenministerium geht an den aktuellen Entwicklungen vorbei. Sie wäre, wenn es starr dabei bleibt, ist im Ergebnis unfair“, meint Kämmerer Christian Wiese: „Wir haben es schneller schaffen wollen und sollen dafür noch bestraft werden?“

Ende März werden er und der Bürgermeister zunächst mit der Kreisverwaltung die Lage eingehend besprechen.

Weiter wurde am Mittwoch beschlossen, einen Arbeitskreis zu bilden, in dem sich Kämmerer und Fraktionen bis zum Haushaltsentwurf für 2018 noch einmal intensiv mit der langfristigen Finanzsicherung befassen.

Auch ein politischer Vorstoß direkt beim nordrhein-westfälischen Innenminister in Düsseldorf sei für ihn eine Option, so der Bürgermeister, „allerdings ist es der Sache und Form nach richtig, dass wir erst einmal in den Austausch mit der Kreisverwaltung in Soest eintreten“.


Hintergrund:

Ein Haushaltssicherungskonzept (zum Teil auch Haushaltskonsolidierungskonzept genannt) ist eine seit 1987 in den deutschen Gemeindeordnungen vorgesehene Maßnahme, die zur Sanierung kommunaler Haushalte darauf abzielt, in einem Zeitraum von bis zu zehn Jahren eine vollständige Ausgabendeckung zu erreichen.

Die Gemeinde Wickede (Ruhr) muss seit 2013 zusätzlich zum Haushalt ein Haushaltssicherungskonzept umsetzen, da damals Ausgaben und Einnahmen einander nicht mehr ausglichen.

Zuvor war in 2011 für eine Zeitlang eine vorläufige Haushaltsführung angeordnet worden. Sie mündete in das Haushaltssicherungskonzept.

Das unter Bürgermeister Hermann Arndt (CDU) entwickelte und vom damaligen Rat beschlossene Haushaltssicherungskonzept wurde daraufhin ausgerichtet, 2017 wieder mit einer „schwarzen Null“ abzuschließen. – Diese Planung geht indes nicht so auf, wie es damals erwartet wurde.

„Vielleicht waren die Annahmen damals etwas zu positiv gestimmt – und vor allem die Orientierungsdaten des Landes, die einem Haushaltssicherungskonzept zugrunde liegen sollen, waren und sind nicht plausibel“, so Bürgermeister Michalzik: „So sah der Orientierungswert des Landes jährliche Tarifsteigerungen um nur 1 Prozent vor. Tatsächlich fielen die Tarifabschlüsse der öffentlichen Arbeitgeber seitdem höher aus. Die Kreis- und Jugendamtsumlage liegt in 2017 rund 400.000 Euro höher als es in 2013 vermutet wurde. Hinzu kommen zum Beispiel zusätzliche, unerwartete Ausgaben von über 150.000 Euro, die sich aus inzwischen verschärften Vorschriften für die Kanalnetze ergeben.“

Vorsorglich hatte der Bürgermeister zwischenzeitlich 2015 zwei moderate Erhöhungen der Gemeindesteuern eingebracht, die 2017 und 2019 zur Wirkung kommen.

Sie werden bessere Einnahmen bringen und die ohnehin laufenden Sparmaßnahmen ergänzen, welche  die Geldausgaben für Straßenreparaturen deckeln und die „freiwilligen Leistungen“  für Kultur, Sport und Vereine eingefroren haben.

Weiterhin wurden bei den Benutzerentgelten zum Beispiel für das Bürgerhaus eine – aus Sicht der Verwaltung – überfällige Anpassung für gestiegene Kosten bei Personal, Energie und technische Verbesserungen durchgesetzt.

Die Verlängerung des Haushaltssicherungskonzepts soll der weitere Baustein sein, um bei guter Wirtschaftsentwicklung bis 2020 Einnahmen und Ausgaben in Ausgleich zu bringen.

Diese „Nachspielzeit“ zu erlauben, sieht sich die Kreisverwaltung aber außer Stande. Das habe sie intensiv geprüft. So führt es der Brief aus Soest aus, der Montag (6. März 2017) im Rathaus einging. So einen Verlängerungsfall habe es bislang auch noch nicht im Kreis Soest gegeben. Die meisten anderen Städte haben Haushaltssicherungskonzepte, die bis 2021 reichen.

Schwerwiegende Einschnitte wie die Schließung von Einrichtungen wie Bücherei oder Freibad wurden in diesem Zusammenhang am Mittwochabend ausgeschlossen. Anders als bei einem Unternehmen kann das Rathaus auch kein Personal abbauen oder Geldmittel streichen, wenn ein „Geschäftsfeld“ nur viele Kosten ohne große Erträge bringt: Kosten für das Kreisjugendamt (2007: 1,5 Millionen Euro und 2017: 3 Millionen Euro), das Ordnungswesen oder für Grundsicherung im Alter.

„Weiterhin hat uns vor kurzem eine Personaluntersuchung des Studieninstituts für öffentliche Verwaltung bescheinigt, dass wir im Rathaus bei der Mitarbeiterzahl knapp besetzt sind. Empfohlen wird, eher jetzt schon Nachwuchskräfte einzustellen, die wir in wenigen Jahren dringend brauchen werden“, so Bürgermeister Michalzik.

Eine tiefer gehende Betrachtung der kommunalen Finanznot reicht dabei in die 1980-er Jahre zurück. Damals kürzte die Landesregierung unter Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) den sogenannte Verbundsatz für die Gemeindefinanzierung um 20 Prozent, das heißt: Sie strich so stark bei den Mitteln, die den Kommunen aus dem NRW-Anteil an Einkommenssteuer, Umsatzsteuer und Kapitalertragssteuern zuflossen und zufließen.

Zusätzlich kamen viele kostenträchtige Aufgaben und Vorschriften durch Land und Bund auf die Gemeinde hinzu.

Schließlich ist erkennbar, dass ein hoher Investitionsbedarf besteht, um kommunale Gebäude und Straßen zu erneuern, die in den 1960-er bis 1980-er Jahren gebaut wurden.

Während damals viele Entscheidung in der Erwartung großen Wachstums getroffen, waren in der Folgezeit viele Reparaturarbeiten lange aufgrund von Finanzknappheit aufgeschoben worden.

Zugleich hat es seit 2004 keine politische Entscheidung mehr für eine Anpassung der Gemeindesteuern gegeben, obwohl alle wesentlichen Kostenposten der Kommune deutliche Anstiege verzeichneten.


Wissenswertes zu Finanz-Eckdaten 

Der laufende Gemeindehaushalt beläuft sich auf rund 27 Millionen Euro. Zu den laufenden Kosten gehören nicht die Investitionen, die aus Krediten finanziert werden, wie zum Beispiel eine größere Straßeninstandsetzung oder ein Schulbau. Von diesen fließen allerdings Zinsen, Tilgung und Abschreibungen in die laufenden Kosten ein.

Die meisten Ausgaben im Haushalt sind durch gesetzliche Aufgaben, Umlagen (Kreisumlage, Jugendamtsumlagen, Fonds Deutsche Einheit) und langfristige vertragliche Bindungen gebunden. Allein die Umlagen binden mit rund 11,4 Millionen Euro rund 40 Prozent der Ausgaben. Weitere 18 Prozent sind für Personalkosten gesetzt.

Die freiwilligen Leistungen der Gemeinde Wickede (Ruhr) belaufen sich auf rund 520.000 Euro. Das sind Ausgaben für die Kultur, den Sport, Vereine, Ehrenamt in der Feuerwehr, die Bücherei und Musikschule, Ferienspaß et cetera, die der Rat als kommunale Leistungen für Wickede (Ruhr) beschlossen hat.

ANZEIGE
ANZEIGE
Kämmerer Christian Wiese und Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) mit dem Haushaltsentwurf 2017 der Gemeinde Wickede (Ruhr) ARCHIVFOTO: ANDREAS DUNKER
Kämmerer Christian Wiese und Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) mit dem Haushaltsentwurf 2017 der Gemeinde Wickede (Ruhr) ARCHIVFOTO: ANDREAS DUNKER