Tag der Deutschen Einheit: Damals wie heute gibt es „Spitzel“ in der Bundesrepublik

3. Oktober 2017

KREIS SOEST. Um „Spitzel“ damals wie heute ging es bei der Feierstunde zum „Tag der Deutschen Einheit“ am heutigen Dienstag (3. Oktober 2017) im Foyer des Kreishauses in Soest. Der Kreis Soest und der Internationale Garnisons-Club Soest (IGCS) hatten dazu gemeinsamen eingeladen. Rund 150 Gäste nahmen an der Veranstaltung teil.

Zwei Zeitzeuginnen, die während des SED-Regimes zu DDR-Zeiten von der "Stasi" (Ministerium für Staatssicherheit) bespitzelt worden waren und über die diese Behörde umfangreiche Akten angelegt hatte, berichteten in einer von dem Soester Fernsehjournalisten Michael Dittrich moderierte Talkrunde live, welche Erfahrungen sie persönlich gemacht hatten.

Ingrid-Ellen Rudat, langjährige CDU-Kreistagsabgeordnete aus Lippstadt, hatte sich zu DDR-Zeiten in der Organisation „Hilferufe von Drüben e. V.“ engagiert, die ihren Sitz in Lippstadt hatte. Der Verein geriet ins Visier der "Stasi", weil er mehr als zwanzig Jahre viele Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) unterstützte und bei Ausreisen aus dem Unrechtsstaat behilflich war.

"Verdeckte Stasi-Spitzel nahmen sogar regelmäßig an Mitgliederversammlungen in Lippstadt teil", hieß es bei der Talkrunde. – Rudat erinnerte sich, wie sehr sie Schilderungen der durch den Verein unterstützten DDR-Bürger über erfahrene Repressalien persönlich belasteten und mitnahmen: „Einer Chemikerin wurde für Jahre der Sohn weggenommen.“

Als weitere Zeitzeugin sprach Annette Donner aus Saarbrücken, die als Mitglied des Arnsberger Salonorchesters schon mehrmals in anderer Funktion bei der Feierstunde zum "Tag der Deutschen Einheit" im Kreishaus mit dabei war.

Donner stammt aus Ostdeutschland und wuchs in der DDR auf, wo sie Musik studierte und später auch als Künstlerin aktiv war. Nach mehrmaligen Anträgen wurde ihr die Ausreise erst wenige Tage vor der sogenannten "Wende" genehmigt.

Sie hat selbst erlebt, wie sich die eigene Lebensqualität durch die Verfolgung durch das DDR-Unrechtsregime verschlechterte, weil sie öffentlich gegen das Regime demonstrierte und die Ausreise aus dem Land beantragte. Die Folgen waren unter anderem berufliche Repressalien und familiäre Sippenhaft.

„Besonders getroffen hat mich, dass meine beste Freundin mich bespitzelt hat“, berichtete sie. „Wow, Du bist frei“, habe sie nach ihrer Ausreise gedacht. Dieses Gefühl wolle sie nicht mehr hergeben, betonte sie und appellierte an alle Deutschen, die Freiheit in ihrem Land wertzuschätzen.

Professor Dr. Thomas Großbölting vom Lehrstuhl für „Neuere und neueste Geschichte“ der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster ordnete die Beiträge der beiden Zeitzeuginnen in den historischen Kontext ein. – Großbölting war zwischen 2005 und 2007 als Abteilungsleiter "Bildung und Forschung" bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin tätig gewesen.

Immerhin hätten zirka 3.000 Informanten aus Westdeutschland die DDR-Behörden mit Nachrichten beliefert, berichtete er. Er schlug auch einen Bogen zur Gegenwart. Viele ehemalige DDR-Bürger hätten sich nach der Wende in ihrer Lebensleistung nicht gewürdigt gesehen. Deshalb gebe es in Ostdeutschland heute sehr viele Irritationen.

Zudem ging der Historiker darauf ein, dass neuerdings Deutsche mit türkischem Migrationshintergrund bespitzelt würden. In unserem Rechtsstaat hätten diese aber die Möglichkeit juristisch dagegen vorzugehen.

„Die großen Leistungen der Wiedervereinigung lassen uns nicht vergessen, was sich in den 40 Jahren Teilung zugetragen hat und in wie viele Schicksale der Unrechtsstaat DDR eingegriffen und persönliches Leid gebracht hat“, hatte Landrätin Eva Irrgang (CDU) in ihrer Begrüßung betont

Im Anschluss an die Feierstunde wurde die Plakatausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme, Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“ eröffnet. Sie wurde gemeinsam vom Institut für Zeitgeschichte, vom Deutschlandradio Kultur und von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur herausgegeben.

„Die Ausstellung schlägt einen Bogen über ganz Europa und fordert uns auf, aus der Geschichte zu lernen“, lud Landrätin Eva Irrgang zu einem Rundgang ein.

Die 26 Tafeln mit fast 190 Fotos aus 100 Jahren europäischer Geschichte sind bis zum 27. Oktober 2017 im Galeriebereich des Soester Kreishaus-Foyers zu den üblichen Öffnungszeiten zu sehen.

ANZEIGE
ANZEIGE
Landrätin Eva Irrrgang (CDU) eröffnete gemeinsam mit dem IGCS-Vorsitzenden Dirk Pälmer und Professor Dr. Thomas Großbölting (von links) die Plakatausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme, Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“. FOTO: THOMAS WEINSTOCK / KREIS SOEST
Landrätin Eva Irrrgang (CDU) eröffnete gemeinsam mit dem IGCS-Vorsitzenden Dirk Pälmer und Professor Dr. Thomas Großbölting (von links) die Plakatausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme, Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“. FOTO: THOMAS WEINSTOCK / KREIS SOEST