Kleine Gemeinde lebt auf zu großem Fuß

27. Juni 2018

WICKEDE (RUHR) / HERNE. Die Gemeinde Wickede (Ruhr) habe eine zu geringe Eigenkapitalquote und eine überdurchschnittlich hohe Verschuldung. – Dies kritisierte Doris Krüger von der Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen. Bei der turnusmäßigen Sitzung des politischen Rates am gestrigen Dienstagabend (26. Juni 2018) trug sie die wesentlichen Ergebnisse der alle fünf Jahre stattfindenden überörtlichen Prüfung der Kommune vor. – Im großen Saal des Bürgerhauses herrschte währenddessen und auch danach weitestgehend betroffenes Schweigen bei den anwesenden Ratsmitgliedern aller Fraktionen. Denn die Finanz-Fachfrau aus Herne machte deutlich, dass die kleine Gemeinde teilweise auf zu großem Fuß lebt.

So lobte Krüger zwar anfangs die Freizeiteinrichtungen wie öffentliche Bibliothek und kommunales Freibad sowie die zwei gemeindeeigenen Veranstaltungshallen in Wickede und in Echthausen, machte aber auch deutlich, dass der Betrieb und die Unterhaltung dieser und anderer örtlicher Einrichtungen natürlich hätten.

Die Verschuldung für Wickede (Ruhr) sei 2017 nur noch von vier anderen kleinen Kommunen im Land NRW übertroffen worden, betonte Krüger. Und sie prognostizierte eine weitere Netto-Neuverschuldung der Gemeinde bis 2021 in Höhe von rund neun Millionen Euro (Stand der Schätzungen von 2016).

Gemeindeprüfungsanstalt: Weitere Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuern „unerlässlich“

Aktuell profitiere die Industriegemeinde von den niedrigen Kreditzinsen und den hohen Gewerbesteuereinnahmen von der örtlichen Wirtschaft, erklärte die Abteilungsleiterin der Gemeindeprüfungsanstalt. Deshalb dürften Rat und Verwaltung das Risiko konjunktureller Schwankungen und eines möglichen Anstiegs der Zinsen nicht vergessen.

Ein weiterer Konsolidierungsprozess der Gemeindefinanzen sei unbedingt notwendig, forderte Krüger. Die für 2019 nochmals vorgesehene Erhöhung der Grund- und Gewerbesteuern sei „unerlässlich“.

Damit unterstrich die Abteilungsleiterin der Gemeindeprüfungsanstalt die Planung von Wickedes Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) und widersprach der kürzlichen Forderung von Engelbert Gurka als Sprecher der SPD-Fraktion, die laut über eine Aussetzung der weiteren Steuererhöhung der Gemeinde nachgedacht hatte.

Gemeinde-Finanzen von einigen großen Gewerbesteuerzahlern abhängig

Krüger verdeutlichte die Abhängigkeit der Gemeinde von wenigen großen Gewerbesteuerzahlern und die im Vergleich zu anderen ähnlichen Kommunen relativ hohe Quote von Arbeitslosen- und Sozialhilfebeziehern, wenngleich dies im Ortsbild der Gemeinde nicht sichtbar sei.

Zudem müssten die Verantwortlichen vor Ort auch die demografische Entwicklung berücksichtigen. In Wickede (Ruhr) sei die Einwohnerzahl real rückläufig.

Schlechte Ergebnisse offenbaren weiteren Konsolidierungsbedarf der Kommune

Das Fazit der Gemeindeprüfungsanstalt: Das strukturelle Ergebnis und die bekannten Investitionsplanungen offenbarten einen weiteren Konsolidierungsbedarf der Kommune. Die von Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) bislang während seiner Amtszeit als Wahlbeamter eingeschlagenen Sparmaßnahmen und Erhöhungen von Gebühren und Steuern genügten dauerhaft noch nicht, um die gewohnten kommunalen Leistungen zu finanzieren, Schulden abzubauen und Konjunkturrisiken vorzubeugen, machte Krüger deutlich.

Einschneidende Sparmaßnahmen ohne Tabus empfohlen

Die Expertin für Kommunalfinanzen empfahl in Folge auch mehrere Maßnahmen, die Bürgermeister und Rat diskutieren müssten. Dabei dürfe es auch keine Tabus wie die Schließung bisheriger Spielplätze, die Übergabe des Betriebs von Sportstätten in die Hände von Vereinen und ähnliche Maßnahmen geben.

„Was sie den Vereinen zumuten wollen, ist eine politische Frage“, meinte Krüger. Reagieren müsse die Gemeinde aber sowohl auf den demografischen Wandel als auch auf geändertes Nutzungsverhalten der Bürger bei Spiel- und Sportstätten.

Freiwilliger Finanzzuschuss an Caritas-Verband als OGGS-Träger soll zurückgefahren werden

Zudem empfahl Doris Krüger der Gemeinde Wickede (Ruhr) den gerade erst erhöhten freiwilligen Finanzzuschuss an den Caritas-Verband des Kreises Soest als Träger der Offenen Ganztagsgrundschulen (OGGS) zu überdenken und neu zu verhandeln. Auf dem Markt gäbe es andere Träger, die einen vergleichbaren Service zu wesentlich niedrigeren Kosten anböten.

Außerdem solle die Verwaltung versuchen, Stellen oder Stunden bei den drei Schulsekretärinnen einzusparen.

Melanchthon-Grundschüler sollen Gerken-Sporthalle nutzen

Und die Sparvorschläge der überörtlichen Prüferin wurden noch krasser: Sie empfahl die Turnhalle der Melanchthon-Grundschule zu schließen, um die dortigen Betriebs-, Wartungs- und Personalkosten einzusparen. Stattdessen könnten die Grundschüler ihren Sportunterricht in der Dreifachhalle an der Sekundarschule absolvieren. Angesichts der kurzen Wegstrecke könnten die Lehrer mit den Schülern zu Fuß dorthin gehen. Die Gerken-Sporthalle würde nämlich zu wenig genutzt.

Insgesamt gäbe es in Wickede (Ruhr) statistisch gesehen für den Schulsport einen Überhang von zwei Hallen-Einheiten, so Krüger.

Widerspruch von Vereinslobbyisten zu Einsparungen bei Sportstätten

Bei den Einsparungen im Bereich der Sportstätten gab es dann allerdings Widerspruch aus den Reihen der Ratsmitglieder, die in Personalunion auch Vereinslobbyisten sind: Sowohl Julian Bräker (SPD) als aoktives Mitglied im Turnvereins (TV) als auch Hans Regenhardt (CDU) als langjähriges Mitglied der Wickeder Turn- und Sportgemeinschaft (TuS) erhoben ihr Veto.

Zum Vorschlag die Melanchthon-Grundschüler zum Sportunterricht zu Fuß zum Schulzentrum im Hövel zu schicken, forderte Christdemokrat Regenhardt: „Kleine Schüler, kleine Wege!“ und plädierte damit für die weitere Nutzung der Sporthalle an der Melanchthon-Grundschule.

Straßenbau wird in kommenden Jahren noch viel Geld kosten

Doris Krüger und die stellvertretende Präsidentin der Gemeindeprüfungsanstalt Simone Kaspar, die die Referentin begleitete, machten die Wickeder Kommunalpolitiker darauf aufmerksam, wie wichtig die digitale Bestandsaufnahme des Zustandes der Gemeindestraßen sei, um die hohen finanziellen Aufwendungen für notwendige Sanierungen im Blick zu behalten.

Bei der Straßenunterhaltung und -sanierung käme in den nächsten Jahren eventuell noch ein erheblicher Kostenbetrag auf die Kommune zu.

Bürgermeister Michalzik bestätigte diese Einschätzung und versprach die Präsentation eines entsprechenden Katasters noch für Ende diesen Jahres. Die Verwaltung arbeite bereits daran.

Schlechte Finanz-Situation Wickedes im landesweiten Vergleich

Angesichts der offenbar auch im landesweiten Vergleich schlechten finanziellen Situation und den vom Gemeindeprüfungsamt geforderten drastischen Sparmaßnahmen für die Kommune verharrten die Politiker nach dem Vortrag in einer gewissen Schockstarre. Eine rege Diskussion zu dem Thema gab es jedenfalls nicht. – Allerdings wird dem Rechnungsprüfungsausschuss sowie dem Haupt- und Finanzausschuss des politischen Rates der ausführliche Bericht der Gemeindeprüfungsanstalt erst noch in Kürze zugestellt, so dass die Kommunalpolitiker dann richtig ins Detail gehen können.

Bürgermeister hob „das beachtliche kommunale Wohlstandsniveau“ hervor

Lediglich Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) sagte laut und deutlich, dass er schon immer auf „das beachtliche kommunale Wohlstandsniveau“ für die Bürger in Wickede (Ruhr) und die dafür notwendigen kommunalen Gelder hingewiesen hätte. Vergleichbare Nachbarkommunen würden sich Zuschusseinrichtungen wie Bibliothek, Freibad, Bürgerhaus und Gemeindehalle gar nicht oder zumindestens nicht alles zusammen leisten. Diese Ausgaben müssten durch Einnahmen gedeckt werden.

Leider hätten Rat und Verwaltung es in der Vergangenheit verpasst, kontinuierlich notwendige Anpassungen bei Gebühren und Steuern vorzunehmen, bemängelte der Bürgermeister. Den hohen Standard und die Vielfalt an kommunalen Angeboten, die die Gemeinde ihren Bürgern biete, müssten diese auch bezahlen, so Michalzik.

ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“

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Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) zusammen mit Abteilungsleiterin Doris Krüger (inks) von der Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen (GPA NRW) und dereren stellvertretenden Präsidentin Simone Kaspar (3. von links) sowie Gemeindekämmerer Christian Wiese (rechts) FOTO: ANDREAS DUNKER
Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) zusammen mit Abteilungsleiterin Doris Krüger (inks) von der Gemeindeprüfungsanstalt Nordrhein-Westfalen (GPA NRW) und dereren stellvertretenden Präsidentin Simone Kaspar (3. von links) sowie Gemeindekämmerer Christian Wiese (rechts) FOTO: ANDREAS DUNKER
Sitzung des politischen Rates der Gemeinde Wickede (Ruhr) im großen Saal des Bürgerhauses FOTO: ANDREAS DUNKER
Sitzung des politischen Rates der Gemeinde Wickede (Ruhr) im großen Saal des Bürgerhauses FOTO: ANDREAS DUNKER