LEADER: Zwischen Fördergeldern und Fehlschlägen

8. August 2020

WICKEDE (RUHR). Was hat die Beteiligung an dem sogenannten LEADER-Programm der Gemeinde Wickede (Ruhr) sowie ihren Bürgern und Betrieben bislang wirklich gebracht? Wie ist die bisherige Bilanz vor Ort? – Kritische Fragen an Wickedes Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU), der nach seinem Amtsantritt im Jahre 2014 den Zusammenschluss der fünf Städte und Gemeinden – Ense, Fröndenberg, Welver, Werl und Wickede (Ruhr) – zur LEADER-Region „Börde trifft Ruhr“ initierte und Vorsitzender der lokalen Aktionsgemeinschaft ist, die bei der Bewilligung von Fördergeldern für einzelne Projekte verschiedener Träger maßgeblich mit von ihm berufenen Mitgliedern mitentscheidet. – „LEADER“ ist übrigens das Aktronym des bürokratischen Begriffs „Liaison Entre Actions de Développement de l'Économie Rurale“ oder aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt: „Verbindung von Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft“.

wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: Das staatliche Förderprogramm LEADER hat sich bislang für die Gemeinde Wickede (Ruhr) nicht ausgezahlt, sondern der Kommune nur hohe Kosten für die Verwaltung verursacht. Mehrere angedachte örtliche Projekte scheiterten nach monatelanger ehrenamtlicher Vorbereitungsarbeit auf Grund des bürokratischen Antragsverfahrens und weitere regionale Aktionen – wie beispielsweise der Workshop „Jugend eine Stimme geben“ – mit einem Singer-Song-Writer als musikalischem Coach und seinem Team zeigten sich als reine Steuerverschwendung. Denn als Resonanz unterhielten die drei teuren Honorarkräfte in Wickede beispielsweise nur ein einziges interessiertes Kind. Auch das LEADER-Lied als Resultat war mäßig und die Kosten für die regionale Aktionswoche mit insgesamt nur 14 Teilnehmern in vier Kommunen lag bei 15.900 Euro. Also knapp 1.200 Euro pro Kind! – Nun gibt es erstmals ein größeres Projekt in der Gemeinde Wickede (Ruhr) von dem ein Ortsteil profitieren könnte. Worum handelt es sich dabei?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU): Kein Förderprogramm ist eine Zauberbox – und Ihrer zugespitzten Kritik gleich zum Einstieg lassen sich positive Fakten gegenüberstellen:

Die „Offene Kaminstube Wimbern“ als Projekt der örtlichen Schützenbruderschaft St. Johannes bekommt jetzt 61.331 Euro aus finanziellen Mitteln der Europäischen Union (EU) und des Landes Nordrhein-Westfalen.

Zweiundvierzig Projekte in den fünf Städten und Gemeinden (Ense, Fröndenberg, Welver, Werl und Wickede [Ruhr]) unserer LEADER-Region „Börde trifft Ruhr“ werden aus EU- und NRW-Finanzmitteln mit mehr als zwei Millionen Euro gefördert. Hinzu kommen weitere rund 1,1 Millionen Euro, die über die Eigenanteile (35 Prozent) mobil gemacht werden – plus Arbeitsleistung in ehrenamtlichen Projekten.

Natürlich gibt es da in fünf Jahren auch ein Projekt wie „Jugend eine Stimme geben“, dass ein echter Fehlschlag war. Weil der Termin für junge Leute ungünstig war. Weil vielleicht nicht die richtigen Werbekanäle gefunden wurden. – Wer nichts wagt, gewinnt auch nichts. Das schließt Fehlschläge ein, die wir auch kritisch auswerten. – Ihre Herabwürdigung der Leistungen der Teilnehmenden finde ich nicht gut, weil alle ihr Bestes gegeben haben

Die Behauptung, das Ganze zahle sich nicht aus, schießt den Ball aber weit vom Platz. Denn die Mehrzahl der geförderten Projekte und der Geldmittel gehen in Spielplätze und Dorfgemeinschaftshäuser, in soziale Projekte, in Sport und Tourismus und mit dem zeitnah startenden Projekt „Bonus- und Gutscheinkarte Börde trifft Ruhr“ in die Förderung der regionalen Wirtschaft.

Das sind Maßnahmen, für die sich viele Menschen zwischen Fröndenberg und Welver mit Herzblut engagieren. Wickede (Ruhr) ist mit dabei. – Erst mit uns wurde es möglich, eine bewerbungsfähige Region über Kreisgrenzen zu gestalten.

Und über 118.000 Euro (LEADER- und Kleinprojekte) gehen schon jetzt direkt in unsere Gemeinde. Außerdem profitieren wir von weiteren Projekten, die gemeindeübergreifend stattfinden.

Wir haben übrigens nur, weil wir Teil der LEADER-Region sind, erst die Chance, Geld auch aus dem Regionalbudget des Bundes für kleine Projekte im ländlichen Raum zu bekommen. Ein Empfänger ist 2020 der Freibadförderverein Wickede (Ruhr).

Und nur, weil wir bei LEADER mitmachen, können wir höhere Zuschüsse für bessere Wirtschaftswege bekommen.

Außerdem sind schöne Projekte bei den Nachbarn auch attraktiv für Wickeder, zum Beispiel die Discgolf-Anlage in Fröndenberg. (Discgolf ist eine Frisbeesportspiel, Anmerkung der Redaktion)

Mit LEADER macht Wickede (Ruhr) erstmals bei einem großen EU-Projekt mit. Ich finde, das ist für eine Gemeinde wichtig, deren Wirtschaft international aktiv ist.


wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: Wie viel hat das LEADER-Programm die Gemeinde Wickede (Ruhr) bislang schon gekostet und wie viel Geld wird es die Gemeinde absehbar bis zum Ende der Förder-Periode noch kosten – inklusive der Eigenmittel und Verwaltungskosten? Wie viel Fördergeld ist in nachhaltige Projekte direkt in die Kommune zurückgeflossen? Und um welche handelt es sich dabei?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU): Der feststehende Aufwand für das gemeinsame Büro, das über Fördermöglichkeiten – übrigens auch jenseits von LEADER – informiert und die Antragsteller durch die Projekte führt, liegt für uns bislang bei rund 36.000 Euro, inklusive Internetauftritt und Sachkosten für Projekte der LEADER-Region.

Rund 13.600 Euro sind bislang zusammen an Eigenmitteln fürs Wickeder Radverkehrskonzept und die Untersuchungen am Trommelwehr anzusetzen. Die Fördersumme für beides liegt bei 27.200 Euro.

Hinzu kommen die erwähnten 61.331 Euro Förderung für Wimbern (33.024 Euro kommen von den Schützen beziehungsweise ihren Unterstützern). Mehr als 7.000 Euro für den Freibad-Förderverein und rund 16.000 Euro für die Gemeinde für Spielgeräte gibt es 2020 aus dem Regionalbudget. Hier liegt die Eigenbeteiligung bei 20 Prozent der Fördersumme.

Folgende regionsweite LEADER-Projekte sind für uns bedeutsam:

– Umweltprojekt: „Südwestfalens blühende Vielfalt erhalten“ (Förderung: 28.358 Euro);

– Radtourismus-Route durch die Region mit Stationen zum Schwerpunkt Landwirtschaft (Förderung: 103.350 Euro);

– Zertifizierungsprojekte für Radwege im ganzen Kreis Soest (Förderung: 12.431 Euro);

– Regionales Einzelhandelsprojekt Wertgutschein (Förderung: 43.509 Euro );

– Sportstudie für die Region (Förderung: 43.420 Euro ) und

– Jugendmusik-Werkstatt (Förderung: 10.335 Euro).

Der kommunale Eigenanteil von jeweils ein Drittel der Kosten wird unter den fünf beteiligten Städten und Gemeinden aufgeteilt.


wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: Wie hoch ist das Budget des Förderprogramms für die LEADER-Region „Börde trifft Ruhr“ insgesamt und wie viel davon ist bereits ausgegeben beziehungsweise verplant worden? Hat die Ruhrgemeinde in dieser Periode noch eine Chance weitere Finanzmittel aus dem LEADER-Förderung zu bekommen?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU):  Die rund 2,1 Millionen Euro, die für Projekte bei uns verfügbar sind, sind weitgehend gebunden. So soll es zum Ende einer Förderperiode auch sein. Wir wollen ja kein Geld zurückgeben. 120.000 Euro sind jetzt noch frei.

Weil die neue EU-Förderperiode wegen der schwierigen Haushaltsverhandlungen in Brüssel wohl nicht 2021, sondern eher 2022 oder 2023 beginnen wird, halte ich für wahrscheinlich, dass von dort noch Geld nachgeschossen wird. Zugesagt sind schon weitere 200.000 Euro aus dem sogenannten Regionalbudget des Bundes für 2021. Auch das steht dann Wickeder Projekten offen.


wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, kann es also keine weiteren LEADER-Projekt-Anträge mehr geben, da das Budget bereits ausgeschöpft ist. Warum hat Wickede (Ruhr) ihrer Meinung nach so wenig von dem durch Sie als örtlicher Bürgermeister initierten Projekt profitiert? Sind Sie enttäuscht, dass das anfangs von Ihnen hoch gepriesene LEADER-Förderprogramm für die Gemeinde Wickede (Ruhr) ein Flop war und so wenig gebracht hat?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU): Wie gesagt, aktuell stehen da noch 120.000 Euro bereit. Plus Regionalbudget 2020 – und wahrscheinlich ein Nachschlag der EU.

Grundsätzlich gilt: LEADER ist einfach ein Angebot. Ob einzelne Personen, Firmen, Religionsgemeinschaften, Vereine oder Verbände beziehungsweise Kommunen davon Gebrauch machen, entscheiden sie selbst.

Wer mit LEADER in ein Projekt investiert, muss zum Beispiel fünf oder zwölf Jahre nachweislich mit den Anschaffungen arbeiten beziehungsweise die finanzierten Einrichtungen betreiben. Auch das muss bedacht werden.

Es ist aber genau richtig, das Angebot überhaupt machen zu können. Dafür zu sorgen, nehme ich als Bürgermeister ernst. Daher finde ich LEADER gut.

Als Gemeinde Wickede (Ruhr) finanzieren wir auch das Digitale Zentrum Mittelstand des Kreises Soest mit jährlich 5.000 Euro. Es soll Handwerk und Kleingewerbe digital fit machen. Ob und wieviele Betriebe das nutzen, weiß ich im Voraus auch nicht. Aber sollten wir Wickeder Unternehmen die Chance darauf nehmen?


wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: Wie viel Geld aus dem Gemeinde-Etat und dem LEADER-Programm ist in die Machbarkeitsstudie für die Beleuchtung des alten Trommelstauwehrs an der Ruhr geflossen? Und was ist das praktische Ergebnis dieser Studie?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU): Wir haben eine anschauliche Simulation, wie das alte Trommelwehr in dunklen Monaten zu ausgewählten Zeiten mit einem abgestimmtem Lichtkonzept ein Hingucker und etwas Besonderes für Wickede werden könnte.

Bewilligt wurden zunächst 8.900 Euro Förderung bei 4.800 Euro Eigenanteil. Für die Gemeinde wird es rund 1.500 Euro teurer und der Zuschuss steigt um 3.000, weil es eine extra Fledermaus-Untersuchung geben muss. Denn die Ausleuchtung soll empfindliche Arten nicht stören. Diese Fledermausuntersuchung läuft gerade. (Anmerkung der Redaktion: Insgesamt kostet nur die Machbarkeitsstudie den Steuerzahler alleine rund 18.200 Euro. Eine Realisierung des Projektes ist fraglich.)

Ob, wer und wie das Licht am Wehr dann einmal realisiert, ist ja noch gar nicht entschieden. Hier geht es erst mal darum, wie es überhaupt machbar ist. Dann sehen wir in Ruhe weiter. Ich freue mich aber, dass die Idee dazu viel Anklang findet – ohne die Kritiker zu ignorieren. Bei gutem Willen lässt sich ein Mittelweg finden.


wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: Ist nicht insgesamt zu viel Geld in bürokratische Verwaltung, theoretische Konzepte und nutzlose Planungen geflossen und zu wenig in praktische Projekte mit bürgerschaftlichem Engagement und nachhaltigem Nutzen für diese?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU): Die Antragsbürokratie finde auch ich aufwändig. Aber das ist doch kein Grund, solche Programme pauschal schlecht zu reden oder gar auszuschlagen. Es geht ja in der Summe um Millionen an Steuergeld.

Nordrhein-Westfalen stellte 2015 mehr als 70 Millionen für die Zeit bis 2020 bereit, um es in über 20 LEADER-Regionen einzusetzen. Warum sollten wir uns selbst von so einer Chance ausschließen, etwas zu bekommen?

Ich setze mich da lieber für Verbesserungen ein, zum Beispiel als Sprecher der nordrhein-westfälischen LEADER-Regionen bei der Landesregierung in Düsseldorf – und da haben wir auch einiges erreicht.

Wenn wir am Ende mit jedem aus der Gemeinde eingesetzten Euro drei bis vier Euro EU-Mittel zu uns holen, ist das auch eine gute Rendite!

Hinzu kommen Eigenleistung von Projektträgern wie Vereinen, die diese in Arbeitszeit und Geld investieren, um Neues zu schaffen.

Schon der Einstieg in das LEADER-Projekt hat Wickedes Politik und Bürgerschaft in Bewegung und mit Nachbarn zusammengebracht. Manche gute Ideen wurden außerhalb von LEADER verwirklicht, zum Beispiel der Marktbus oder der Meditationsweg.


wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: In der Startphase des LEADER-Programms haben Verantwortliche wie Sie immer wieder betont, dass neben Städten und Gemeinden sowie Vereinen auch Privatpersonen und Unternehmen bei öffentlich interessanten Projekten finanziell gefördert würden. Gibt es aktuell ein einziges Beispiel dafür in Wickede (Ruhr) oder den anderen beteiligten Kommunen wie Ense, Fröndenberg, Welver oder Werl?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU): Aus diesem Kreis gab es nur ein sehr vereinzeltes Interesse, wo am Ende die Ideen nicht zu den Anforderungen von LEADER passten. Das ist schade, aber es ist die Regel in Deutschland, dass vor allem Vereine, Organisationen und Gemeinden LEADER gut nutzen können.

Übrigens müssen die Grundzüge dieses EU-Programms ja auch für sehr verschiedene Regionen zwischen Finnland und Spanien passen – es ist eben kein Programm für Deutschland alleine.

Mit dem zeitnah startenden Projekt „Bonus- und Gutscheinkarte Börde trifft Ruhr“ fördern wir ein Projekt, das die lokale und regionale Wirtschaft unterstützt. (Boni fördern wohl eher die Konsumenten als die Kaufleute, Anmerkung der Redaktion)


wickede.ruhr HEIMAT ONLINE: Nach dem anfänglichen Enthusiasmus etlicher Bürger rund um das LEADER-Projekt waren und sind die meisten Beteiligten inzwischen durch die Misserfolge ernüchtert und vielfach sogar maßlos enttäuscht. Hat LEADER das gut gemeinte freiwillige Engagement und die demokratische Mitwirkung der Bürger vielleicht so stark ausgebremst und geschädigt, dass das Projekt vor allem zu mehr Europa- und Politikverdrossenheit geführt hat?

Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU): Welche „meisten Beteiligten“ könnten Sie mir da namentlich nennen? Ich halte ihre Formulierung für gewagt. Denn 160 Bürger aus Wickede (Ruhr) haben gerade jetzt  bei der Online-Umfrage für das LEADER-geförderte Radverkehrskonzept mitgemacht.

Ich bin überzeugt, dass sich ganz viele Wimberaner auf ihre „Offene Kaminstube“ in der Schützenhalle freuen.

Ist es nicht wahrscheinlich, dass die QuerFeldLand-Radroute, die zu interessanten landwirtschaftlichen Ausflugszielen zwischen Fröndenberg und Welver führen wird, auch viele Wickeder anziehen wird?

In Lüttringen freut sich eine Elterninitiative über Geld für ihren Spielplatz.

Im Werler Kinderzirkus „San Pedro Piccolino“ freuen sich über 50 Kinder (auch aus Wickede), Jugendliche und Betreuer, dass sie mit 70.000 Euro aus LEADER bessere Proberäume bekommen.

Das sind einige von vielen Beteiligten, die mit LEADER gewinnen.

Wenn an solchen Projekten das Europa-Zeichen sichtbar wird, fördert das die Verbindung zur EU und zur europäischen Idee.

Ich bin Bürgermeister in und für Wickede, aber kluge Kommunalpolitik in einer so kleinen Gemeinde muss über den eigenen Kirchturm denken und arbeiten. Genau das passiert mit LEADER.

Die gute Zusammenarbeit dort hat für die Vertrauensbasis geholfen bei den Verhandlungen zwischen Fröndenberg und Wickede (Ruhr), als es über das Zusammengehen unserer Gemeinde- und Stadtwerke ging.

Erfolge wachsen – wie Kinder – nur mit der Zeit.

Mein Fazit: Es wäre gut, sich gemeinsam für eine weitere europäische LEADER-Förderperiode bis 2027 zu bewerben.


Die Fragen stellte ANDREAS DUNKER für „wickede.ruhr HEIMAT ONLINE“

ANZEIGE
ANZEIGE
Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) von der Gemeinde Wickede (Ruhr) ARCHIVFOTO: ANDREAS DUNKER
Bürgermeister Dr. Martin Michalzik (CDU) von der Gemeinde Wickede (Ruhr) ARCHIVFOTO: ANDREAS DUNKER